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Fünf Fragen an John Schierhorn

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»Der überwiegenden Teil des Nachtlebens wird durchweg eher als Problem wahrgenommen…«

stadtnachacht im Interview mit John Schierhorn


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SNA: Assoziieren Sie den Begriff Nachtleben eher mit Kultur oder mit Ökonomie?

Schierhorn: Sicher mit beidem. Allerdings natürlich in unterschiedlichen Gewichtungen. Ob staatlich gefördert oder nicht, überall dort wo Menschen mit dem was sie machen auch Geld verdienen müssen, gibt es eine ökonomische Komponente. Der große Unterschied liegt in der Motivation: Will ich etwas machen um Geld zu verdienen oder geht es mir primär um die Inhalte?


SNA: Die Attraktivität des Nachtlebens einer Großstadt wird oft als Urbanitätsfaktor schlechthin angesehen. Welche räumliche Dimension hat der Begriff Nachtleben für Sie?

Schierhorn: Sicherlich ist ein vielfältiges und lebendiges Nachtleben ein wichtiger Faktor für Urbanität und Lebensqualität. In Hamburg konzentriert sich das Nachtleben im Wesentlichen auf einige wenige Straßenzüge. Diese werden gemeinhin als “Vergnügungsbezirke” bezeichnet. An anderen Standorten ist es schwer bis unmöglich, entsprechende Nutzungen zu etablieren.

Eine klare Ausnahme stellt Berlin dar. Aus dem historischem Kontext gewachsen hat sich das Nachtleben dezentralisiert. Mit erheblichen positiven Folgen, gerade für Existenzgründer und Nutzungen ohne oder mit geringem kommerziellen Hintergrund.


SNA: Welche Rolle spielen konkret Stadtplanung und Stadtentwicklung(-spolitik) im Themenfeld Stadt, Nachtleben und Nachtökonomie für Sie?

Schierhorn: Dazu ein Beispiel aus den Musikclubs: Das Wort Clubsterben geistert seit Jahr und Tag durch die Gassen. Wichtig dabei zu verstehen ist, das es durchaus einen normalen Prozess gibt. Musik ändert sich, Gäste verändern sich. Und auch die Leute hinter den Kulissen bleiben nicht stehen. Entsprechend werden die meisten Clubs nicht alt. 2-3 Jahre sind normal (dann kommt die erste große Steuerprüfung), alles über 10 ist schon fast biblisch. Oder hoch subventioniert.

Auf der anderen Seite gibt es ein Spielstättensterben. Ein Ort verschwindet, aber selten wächst ein Neuer nach. Die Konkurrenz um die letzten verbleibenden Flächen steigt. Und am Ende setzen sich nicht die besten Ideen und die frischesten Inhalte durch. Sondern die zahlungskräftigste Klientel, der Mainstream und die Langeweile. Stadtplanung sollte Freiräume für das Nachtleben schaffen. Und versuchen auch den kommerziellen Druck auf die Spielstätten zumindest abzumildern.

Eines der größten Probleme in der Stadtentwicklungspolitik ist, das die meisten Entscheider, wenn überhaupt, nur einen sehr kleinen Teil des Nachtlebens kennen und selber für sich entdecken. Meist geht es dabei dann um Jazzclubs oder andere sogenannte “ernste Musik” (Gema-Jargon). Gerade die Jugendkultur, die den weit überwiegenden Teil des Nachtlebens und seiner Attraktivität ausmacht, wird durchweg eher als Problem (Lautstärke, Gewalt, Drogen, merkwürdige Musik) wahrgenommen. Entsprechend wird meist entschieden.

 

SNA:Welches sind vor Ihrem beruflichen Hintergrund die interessantesten Fragestellungen und Themen im Zusammenhang mit Stadt und Nachtleben?

Schierhorn: Das Nachtleben kann man nicht wie einen Industriebetrieb in ein Gewerbegebiet am Rande der Stadt ansiedeln. Das Nachtleben gehört zwingend dort hin, wo die Menschen leben. Entsprechend ist die entscheidende Frage, ob dies in Zukunft und in einer sich entwickelnden Stadt weiter möglich sein wird. Und welche Priorität dem Nachtleben eingeräumt wird.

Es geht dabei weniger um direkte Förderung und Subventionen, sondern um das Schaffen von kulturellen Freiräumen. Dabei ist es z.B. technisch kaum ein Problem, auch in Neubauten entsprechende Flächen zu schaffen oder ganze Areale für kulturelle Nutzungen zu entwickeln. Der Erhalt des Hafenklang (und somit einer der wichtigsten Subkultur-Spielstätten in Hamburg) ist dafür ein gutes Beispiel.

 

SNA: Welche Akteure sind in diesem Zusammenhang für Ihre Arbeit besonders wichtig, wo gibt es bereits Kooperationen und welche müssten evtl. noch verstärkt/aufgebaut werden?

Schierhorn: Im Musikbereich hat sich vor einigen Jahren das Clubkombinat Hamburg gegründet. Es vertritt die Interessen der Livemusikclubs, die mittlerweile private Musikbühnen genannt werden. In diesem Rahmen wurden neue Fördertools entworfen, umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen ermöglicht und eine Stiftung (Stiftung zur Stärkung privater Musikbühnen Hamburg e.V. aka. Clubstiftung) ins Leben gerufen, die als eigene Bank fungiert (Musikclubs bekommen in der Regel keine signifikanten Darlehen von Banken). Vor allem aber gibt es eine gemeinsame Interessenvertretung und einen einheitlichen Ansprechpartner für Verwaltung und Politik.

In 2011 wurde darüber hinaus in Kooperation mit Initiativen aus Berlin und anderen Städten ein Bundesverband (Livekomm) gegründet, der überregionale Interessen vertritt und einen bundesweiten Erfahrungsaustausch ermöglicht. Aktuell führt dieser Verband z.B. die Verhandlungen mit der Gema bezüglich ihrer 1000%+x Tariferhöhungen.

Für die Zukunft müssen weiter Wege gefunden werden, alle Akteure enger zu vernetzen und Berührungsängste abzubauen.

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© Benne Ochs

John Schierhorn ist geschäftsführender Gesellschafter des seit 2003 bestehenden Hamburger Live-Musik-Clubs Waagenbau, Mitbetreiber der Freiluftgastronomie Central Park und war Mitgründer und Geschäftsführer der Viva con Aqua Wasser GmbH. Er ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Clubkombinats Hamburg e.V. sowie der Clubstiftung und ist als »Raumunternehmer« im Bereich Projektentwicklung tätig.

www.urbanfuturegroup.org

 

 

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