Am Brüsseler Platz in Köln besteht schon seit Jahren ein massiver Konflikt zwischen nächtlichen Besuchern und Anwohnern. Beide Gruppen sehen ihre Freiheit in Gefahr. Da sich die Konfliktlinien mit der Zeit verhärtet haben, scheint eine Lösung auch nach diversen Interventionen nicht in Sicht zu sein.
Gastbeitrag von Matthias Hannemann
Die Besucher des Platzes, die ihn u.a. wegen seiner Lage und der in Köln einzigartigen Ästhetik und Atmosphäre schätzen, nutzen ihn seit einigen Jahren vermehrt als Treffpunkt. Inzwischen ist es dort häufig so voll, dass man zwischen den Menschenmassen kaum noch vorwärts kommt.
Gründe für die intensive neue Nutzung sind vor allem gesellschaftliche Transformationsprozesse wie Individualisierung und Informalisierung. Diese führen auf dem Platz selbst zu einem hohen Maß an informeller Aneignung seitens der Besucher.
Die Anwohner kritisieren die so entstandenen Zustände massiv und setzen sich stark für eine effektive und dauerhafte Beruhigung des Platzes ein. Vor allem der Lärm, den mehrere Hundert Besucher erzeugen, steht dabei – neben dem anfallenden Müll – im Mittelpunkt der Kritik. Die Anwohner sehen ihr Recht auf Nachtruhe in Gefahr und die Besucher ihr Recht auf eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung im öffentlichen Raum. So spricht z.B. ein Anwohner von »Rücksichtslosigkeit« der Besucher, während diese »das Gesellige« auf dem Platz positiv hervorheben.
Beide aus bestimmten Lebensstilen resultierende Positionen sind nachvollziehbar und genau das macht die Auseinandersetzung so kompliziert.
Die Dynamiken lassen sich zudem nach geltendem Recht nicht auf ordnungsrechtlichem Wege verändern. Dieser Ansatz liegt ohnehin nicht im Interesse der Stadt, u.a. aus Imagegründen, will man doch als Studenten- und Medienstadt eine junge, kreative, weltoffene und bunte Außenbetrachtung schaffen und fördern, zu der die subkulturellen Dynamiken am Brüsseler Platz einen großen Teil beitragen.
So ruht das hauptsächliche Augenmerk der Beteiligten seit Jahren auf der Kompromissfindung. Kommunikation, Koordination und Kooperation sind dabei die Methoden der Wahl und diese sollen alle Akteure umfassen, also auch Polizei, Ordnungsamt, die städtischen Müllbetriebe, die Kirchengemeinde und die ansässigen Gastronomie- und Kioskbetriebe.
Dieser Ansatz erhielt im August 2013 durch eine aus einem Mediationsverfahren hervorgegangene verbindliche Vereinbarung, den modus vivendi, der erstmals unter Beteiligung ausnahmslos aller Akteure entstanden ist, neuen Schub, nachdem zuvor wegen der zunehmenden Frustration der Anwohner jahrelang kaum mehr zielführende Abstimmung stattgefunden hatte.
Der anfängliche Optimismus ist jedoch schon fast wieder verflogen, denn noch immer gibt es massive Probleme.
So bleibt der Nutzungskonflikt am Brüsseler Platz auch weiterhin ein brisantes Thema, das sich durchaus auch auf andere räumliche Kontexte übertragen lässt, besteht im Management der Nutzung von öffentlichem Raum in der City doch auch anderswo eine große Herausforderung an alle Beteiligten.
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»Urbanität ist keine Heile-Welt-Utopie; die Stadt ist immer beides: vertraute Heimat und anonyme Maschine, Ort der Anonymität und Ort der Identifikation. Die Aufgabe besteht darin, diese in möglichst fruchtbarer Spannung zu erhalten.«
Lindner, Werner (1998): Die „sichere“ Stadt zwischen urban control und urbaner Kompetenz. In: Breyvogel, Wilfried (Hrsg.): Stadt, Jugendkulturen und Kriminalität. Bonn, Verlag J.H.W. Dietz (S. 58)
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Mehr
Kölnische Rundschau (22.07.2014): „Die feiern da, wo sie wollen“
Interview mit Matthias Hannemann
Kölner Stadt-Anzeiger (20.7.2014): Feiern unter freiem Himmel
Artikel von Von T. Attenberger, B. Janecek und D. Risse
Stadt Köln (2014): modus vivendi – Sachstand 2014
Stadt Köln (2013): Lasst uns schlafen! – Mehr Rücksicht am Brüsseler Platz (Flyer)
»Download (PDF 250 KB)
Verwaltungsgericht Köln (23.08.2013): Brüsseler Platz in Köln – Einigung erzielt
Pressemitteilung
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Über den Autor:
Matthias Hannemann konzentrierte sich während seines Bachelorstudiums der Geographie und Soziologie an der Universität Münster auf sozialräumliche Problematiken in Großstädten. Im Rahmen seiner Masterarbeit im Master-Studiengang »Gesellschaften, Globalisierung und Entwicklung« der Universität Bonn beschäftigte er sich mit den Nutzungskonflikten am Brüsseler Platz. Er analysierte die Gründe für die Popularität des Brüsseler Platzes, den aktuellen Konflikt – der wesentlich komplexer ist, als es die auf den ersten Blick bipolare Situation vermuten lassen könnte – und Möglichkeiten der Reglementierung. Matthias Hannemann wohnt in Jena.
Die Masterarbeit kann über untenstehenden Link heruntergeladen werden.
Hannemann, Matthias (2014): Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum –
Der Brüsseler Platz in Köln, Masterarbeit Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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